Mut gegen Lücke

FährKultur verbessert mit einer elektrischen Rheinfähre die Verkehrsinfrastruktur

Der automobilfreie Ausflugsverkehr im Kölner Norden hat ein Epizentrum – die Rheinpromenade in Köln-Niehl. An sonnigen Sonn- und Feiertagen teilen sich dort unterschiedlichste Freizeitler die gepflasterte Allee: Familien mit Kinderwagen oder Buggys, Fahrradfahrer, E-Biker, die ältere Generation am Stock oder Rollator.  Kinder mit Roller, Hunde mit und ohne Leine, Jugendliche auf elektrischen Leihscootern, Skater. Die Rennradraser pedalieren sicherheitshalber auf die Straße.

Hohes Verkehrsaufkommen auf der Niehler Promenade:
Potenzielle Passagiere für unsere elektrische Fähre  

Bei passendem Wetter gibt es am Wochenende hier rund 800 Freizeitler täglich – mit steigender Tendenz. Habe ich selbst gezählt. Schließlich wohne ich mit direktem Sichtkontakt zu diesem Hotspot in Sachen Naherholungs-touren. Vom heimischen Schreibtisch aus mit einem kühlen Getränk und dem verchromten Handzähler LUPO bewaffnet gelingt das Erfassen der Völkerwanderung sehr bequem. Seit längerem ist mir klar: Das sind alles potenzielle Passagiere für unsere geplante Rheinfähre von hier auf die andere Rheinseite. Eine erste “offizielle“ Untersuchung bestätigt meine Einschätzung. Mehrere Studenten der Universität Köln hatten bereits 2021 im Rahmen ihres Studiums eine Bedarfsanalyse für eine Fährbindung im Kölner Norden erstellt. Das Ergebnis der Fragebogenaktion: Über 95 Prozent würden eine Fähre wie von uns geplant nutzen.

Theorie vs. Praxis: 
Warum möchten Interessenten unsere Fähre nutzen?

Mit diesem theoretischen Wissen wage ich mich heute ins Getümmel auf der anderen Straßenseite. Ich möchte mit persönlichen Gesprächen praktisch erkunden, ob und warum unsere Fährpläne auf Interesse stoßen. Oder was eventuelle Kritikpunkte wären. Gibt es  Tipps und Anregungen? Vielleicht gehen gar Genossen ins Netz, die sich aktiv an unserem Projekt beteiligen wollen.

Eine junge Familie, mobil mit einem elektrischen Babboe-Lastendreirad und einem normalen E-Bike, stoppt am Spielplatz direkt an der Uferpromenade. Beide Kleinkinder werden von der Mutter aus ihren Sicherheitsgurten befreit, klettern aus dem hölzernen Frunk (Frontal Trunk)  und entern das riesige Piratenschiff im Sandkasten. Während der Vater die Räder parkt, spreche ich die Mutter an: „Guten Morgen! Hier soll demnächst eine elektrische Fahrrad- und Fußgängerfähre über den Rhein pendeln. Würden sie die nutzen?“ „Warum wollen sie das wissen und wer sind sie?“, lautet die Antwort etwas steif-misstrauisch. Ok, die Kommunikation hätte ich geschickter starten können. Also stelle ich mich vor, erkläre kurz das Projekt FährKultur Köln-Nord e.V. Gleichzeitig stößt der Vater hinzu, die Unterhaltung wird locker und ungezwungener.

Sie kommen aus dem rechtsrheinischen Köln-Mülheim und sind öfters am Wochenende mit den Rädern am Rhein unterwegs. Bisher fahren sie über die marode Mülheimer Brücke, würden sich über eine Fährverbindung freuen und diese auch nutzen. „Weil wir dann eine schöne Rundtour machen könnten – mit der Fähre hin und über die Brücke zurück. Oder umgekehrt.“, lautet die einleuchtende Erklärung der Beiden. Eine wichtige Erkenntnis für unser Projekt, dass die Brücke eine Akzeptanz unserer Fähre eher fördert denn mindert. Hätten sie persönliche Tipps für das Projekt FährKultur? „Am Fähranleger wären eine Ladestation für die E-Bikes und ein Kompressor zum Aufpumpen der Reifen gut. Und günstige Tickets!“, so die Wunschliste. Genug gequatscht – die Kinder fordern Spielzeit mit ihren Eltern.

Unsere Aktionen zeigen Wirkung:
die Pläne von FährKultur Köln-Nord sind weit verbreitet

Ein älterer Herr fällt mir auf, der es sich auf einer der Bänke gemütlich gemacht hat und einen Elbsegler trägt. Die Älteren erinnern sich: diese Schirmmütze war das Markenzeichen von Altkanzler und Hanseat Helmut Schmidt. Ich unterstelle Interesse an maritimen Themen und frage direkt heraus: „Moin, moin! Haben sie schon von der hier geplanten Rheinfähre gehört?“ Die Antwort kommt ebenso prompt wie überraschend: „Nein, die kann man nicht hören. Die fährt elektrisch!“ Oha, ein sprachlich und gedanklich kreativer sowie sehr gut informierter Zeitgenosse. Ich frage Matthias, so sein Name, woher er die Informationen über unser Projekt FährKultur habe. „ich bin als alter Niehler öfters hier am Rhein. Meistens mit alten Freunden oder Kollegen. Da wird viel über euren Verein gesprochen.“

Was denn Interessantes besprochen wird, frage ich. Er holt weit aus und erzählt von seiner Jugend in den frühen 1950ern, als er mit Freunden im Rhein geschwommen ist und dass es hier bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Fähre gab, die bis 1967 in Betrieb war. Der letzte Fährkapitän Utz Bilstein hätte sie öfters übergesetzt. Die damalige Fähre Henny wurde mit einem Dieselmotor betrieben, der im Betrieb deutlich zu hören und reichen gewesen sei. „Deshalb bin ich von euren Plänen begeistert. Ihr holt für mich ein Stück meiner Jugend zurück, verpestet aber mit dem geplanten Elektroantrieb nicht mehr die Luft. Ich würde wohl Stammgast und jeden Tag hin und zurück fahren.“ Ich lade Matthias zu unserem nächsten Treffen ein und hoffe, dass er sich als fester Bestandteil unseres Vereinslebens die Historie der Fähre aufarbeitet und zugänglich macht.

Die Jugend flitzt vorbei oder hält sich bedeckt 

Eine paar Bänke weiter amüsiert sich eine Gruppe Jugendlicher bei etwas lauterer Musik. Ich stelle meine übliche Frage in die Gruppe und bekomme tatsächlich response. So ´ne Fähre wäre voll cheedo, Diggah. Man könnte mit der Squad auch auf der anderen Rheinseite abhängen. Mein Einwand, dass drüben ein Naturschutzgebiet mit Betretungsverbot ist, trübt die Begeisterung nur bedingt. Schließlich haben alle hier Borderitis. Ich interpretiere die Aussagen als allgemeine Zustimmung und ziehe weiter.

Vielleicht komme ich ja mit einem der E-Scooter-Flitzer in die Konversation. Das klappt jedoch beim besten Willen nicht. Kontaktversuche wie Handzeichen oder ein lautes und bestimmtes „Hallo“ verpuffen ungeachtet. Elektrisches Rollern und gleichzeitiges Handy bedienen fordern die ganze Aufmerksamkeit der Pilot:innen. Die Ultima Ratio mit In-den-Weg-stellen wage ich angesichts des Speeds und der meist wackeligen Fahrkünste lieber nicht.

Lokaltermin im Gasthaus Linkewitz:

Fehlt noch ein Lokaltermin – im wahrsten Wortsinne. Das Gasthaus und Rheinhotel „Gaffel im Linkewitz“ liegt gegenüber dem Spielplatz und rund 100 Meter von dem potenziellen Fähranleger an der Niehler Rampe entfernt. Die Terrasse ist gut besucht. Viele Ausflügler entlang des Rheins nutzen die exklusive Gelegenheit für eine Mittagsrast. Exklusiv deshalb, weil es Richtung Norden rheinabwärts bis auf Weiteres keine Einkehrmöglichkeit mehr gibt. Überhaupt scheint im Rasthaus Linkewitz der sonntägliche Schönwetter-Pilgerweg zu enden. Unter anderem deshalb, weil es in besagter Richtung erst mal nur abseits des Rheinufers weitergeht. Die Industrie versperrt den Uferweg bis in den nördlichen Ortsteil Merkenich. Ein erhebliches Manko, wie mir eine illustre Runde von Fahrradausflüglern erklärt. Als ich unsere geplante Fähre ins Gespräch bringe, herrscht Begeisterung allenthalben. Die Truppe unisono: Eine Fähre von hier auf die andere Seite wäre genial. Dann könnten wir hier übersetzten und auf der anderen Seite im Grünen weiter in Ufernähe rheinabwärts fahren.

Begeisterung herrscht gleichfalls beim Wirt Karl-Heinz “Kalle“ Köckeritz. „Unser Gasthaus Linkewitz – damals das „Vater Rhein“ – war schon zu Zeiten der alten Fähre ein beliebter Treffpunkt. Hier haben Niehler, Flittarder und Stammheimer ihr Zusammenleben gepflegt, Hochzeiten, Geburtstage, Kommunion oder Karneval gefeiert. Händler und Handwerker trafen sich zum Austausch über den Rhein hinweg.“  Einmal im Erzählmodus, sprudelt es weiter aus ihm heraus: „Bei der Übernahme des Gasthauses habe ich alte Unterlagen und Devotionalien der Fähre gefunden. Darunter ein altes Fährschild vom Anleger, das da hinten an der Wand hängt. Oder das Fährpatent des letzten Fährmanns Utz Bilstein. Oder die Streckengenehmigungen aus den 1880er Jahren.“ Mit wird bewusst, dass ich Kalle und „Elbsegler“ Matthias – sofern er mitarbeitet – unbedingt an einen Tisch bringen muss. Eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung der Fähre wäre damit gesichert.

Der Redeschwall von Kalle wird von dem einen oder anderen Kölsch begleitet. Nach über zwei Stunden beschließe ich, meine Umfrage aufgrund schwindender Aufmerksamkeit zu beenden. Morgen starte ich den Versuch, Berufspendler einzufangen und zu befragen. 

Im Frühtau zu Kölle pendeln die (Berufs-)Radfahrer

Am nächsten Tag bin ich frühmontagmorgens mit Hund auf der nahezu menschenleeren Promenade unterwegs. Rheinmöwen flitzen durch die Dämmerung. Der Rhein riecht etwas faulig, da steht wohl ein Wetterwechsel an. Es naht Begleitung. Ein Radfahrer mit neon-gelber Sicherheitsweste schiebt sein Fahrrad und kommt auf mich zu. Die grellen Reflektorstreifen blitzen unter dem Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos auf. „Guten Morgen“, klingt es freundlich zu mir herüber. „Haben sie vielleicht eine Luftpumpe? Mein Vorderrad ist platt!“ Ich erwidere seinen Gruß ebenso freundlich und drücke mit einem Augenzwinkern mein Bedauern aus, dass ich beim heutigen Gassi gehen ausnahmsweise mal keine Pumpe mit mir führe. Der Mann in neon-gelb lacht, teilt also meinen Humor. Das Gespräch gewinnt mit einem Hinweis auf eine geplante Rheinfähre an Dynamik.

 Ich erzähle nach einem kurzen Namensaustausch Stefan kurz und knapp von FährKultur und der geplanten Fähre von Niehl nach Flittard und Stammheim. „Das wäre der Hammer. Dann würde sich mein Arbeitsweg fast halbieren.“, so seine Reaktion. Er fragt mir Löcher in den Bauch zum elektrischen Fährschiff und Fahrplan, zur Zuverlässigkeit, Umweltverträglichkeit und Starttermin. Ich fülle gewissenhaft seine Wissenslücken, als er unser Gespräch etwas jäh abbricht. Ihm fällt ein, dass er eigentlich auf dem Weg zur Arbeit im Ford-Werk rheinabwärts ist und immer noch das Problem mit dem platten Reifen hat. Er schiebt mit dem Versprechen ab, FährKultur zumindest als Mitglied zu unterstützen.

Passgenaues Mobilitätsangebot für Privatpendler

Unter der Woche lerne ich nachmittags mit meiner obligatorischen Standardfrage bezüglich FährKultur Judith kennen. Sie ist pendelt wöchentlich mit dem Rad vom rechtsrheinischen Höhenhaus ins linksrheinische Longerich und bestätigt das eingangs beschriebene Chaos auf der Rheinpromenade: „Ich fahre derzeit mit dem Fahrrad von Höhenberg über die Mühlheimer Brücke. Dann am Rhein entlang, die kleine Brücke über den Niehler Hafen und dann weiter am Rhein, um zu meinem Gesundheitsstudio zu kommen. Das ist grade am Wochenende furchtbar anstrengend. Zu viele Jogger, Spaziergänger, „Gassigeher“ und andere Radfahrer. Da braucht man wirklich starke Nerven. Eine Fähre zwischen Niehl und Stammheim wäre für mich perfekt. Die würde ich sofort nutzen. Und eine Fahrt über den Rhein, auch wenn sie nur kurz ist, macht auch einfach Spaß.“

Wie bei allen, mit denen ich über unser Fährprojekt ins Gespräch gekommen bin, ist auch bei Judith wenig Werbetrommeln oder gar Überzeugungsarbeit nötig. Das Thema wird begeistert aufgenommen und nach meinen Eindrücken und den Umfragen in der Praxis genutzt werden. Fehlt nur noch die Umsetzung. Doch das sind andere (Blog-)Stories.

FährKultur nutzt das hohe Verkehrsaufkommen:
Werbeaktion auf der Niehler Promenade

Das eingangs erwähnte Gewimmel auf der Niehler Rheinpromenade am Wochenende haben wir Mitte April genutzt, um unser Projekt FährKultur bekannter  zu machen. Mit Flyern, Aufklebern, kostenlosen Backwaren von unserem Mitglied und Lebensmittelretter Christian Horsters und ebenso kostenlosem Kaffee vom benachbarten Gaffel im Linkewitz konnten wir viele Passanten, Familien oder Rad- und E-Bike-Fahrer für unser nachhaltiges Fährprojekt begeistern. Der passgenaue Ort für die Aktion: die Niehler Rampe, bis 1967 Anleger für die damalige Fähre Henny und fest eingeplanter Anlandepunkt für die neue Fähre.

Axel Lengert

Axel Lengert

Gründungs- und Vorstandsmitglied von FährKultur Köln-Nord e.V.

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